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Diskussion über Englisch an Grundschulen

Ist das noch gut oder kann das weg?

Ist das noch gut oder kann das weg? Diskussion über Englisch an Grundschulen - Interview mit Prof. Piske (Inhaber des Lehrstuhls für Fremdsprachendidaktik mit Schwerpunkt Didaktik des Englischen an der FAU Erlangen-Nürnberg)

Sandra Schäfer: Herzlich willkommen, Professor Piske. Es gibt kontroverse Diskussionen
über den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule. Könnten Sie uns einen Überblick über die Forschungsergebnisse geben?

Professor Piske: Vielen Dank, Frau Schäfer. Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Fremdsprachenunterricht in der Grundschule wenig effektiv sei. Unsere Forschung zeigt zum Beispiel, dass Kinder, die ab der ersten Klasse Englisch, bereits am Ende der zweiten Klasse das Niveau A1 erreichen können. Bis zum Ende der vierten Klasse können sie im Hör- und Leseverstehen sogar Niveau A2 erreichen. Für das Fach Französisch sind unsere Ergebnisse ähnlich. Beachtenswert sind darüber hinaus Forschungsergebnisse von Kolleginnen und Kollegen, nach denen Schülerinnen und Schüler, die bereits vor oder ab der dritten Klasse Englischunterricht erhalten haben, noch in der neunten Klasse langfristige Vorteile im Englischen gegenüber Schülerinnen und Schülern gezeigt haben, bei denen der Englischunterricht erst ab der vierten oder fünften Klasse eingesetzt hat.

Sandra Schäfer: Welche Auswirkungen hat der frühe Fremdsprachenunterricht auf die Deutschkenntnisse der Kinder?

Professor Piske: Tatsächlich zeigen Studien, dass sowohl einsprachig aufwachsende Kinder als auch Kinder mit Migrationshintergrund, die Fremdsprachenunterricht erhalten, in ihren Deutschkenntnissen nicht beeinträchtigt werden. Im Gegenteil, der Kontakt mit einer Fremdsprache kann die Sprachbewusstheit und damit auch die Deutschkenntnisse positiv beeinflussen.

Sandra Schäfer: Wie fördert der Fremdsprachenunterricht die Offenheit und Neugier auf andere Kulturen?

Professor Piske: Der Fremdsprachenunterricht trägt erheblich dazu bei, dass Kinder eine Offenheit gegenüber anderen Sprachen und Kulturen entwickeln. Dies ist nicht nur für die individuelle Entwicklung der Kinder von Bedeutung, sondern auch für die gesellschaftliche Verständigung und Friedenserziehung.

Sandra Schäfer: Gibt es eine Verbindung zwischen dem Fremdsprachenunterricht in der Grundschule und den Zielen der europäischen Sprachenpolitik?

Professor Piske: Ja, der frühe Fremdsprachenunterricht unterstützt direkt die Ziele der europäischen Sprachenpolitik, die auf Mehrsprachigkeit und interkulturelles Verständnis abzielen. Die EU betont die Bedeutung der Entwicklung von Sprachkompetenzen bereits in der Primar- und Sekundarstufe.

Sandra Schäfer: Wie sehen Eltern den Beginn des Fremdsprachenunterrichts?

Professor Piske: Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Mehrheit der Eltern den Beginn des Fremdsprachenunterrichts bereits in der ersten Klasse befürwortet. Dies spiegelt das Bewusstsein der Eltern für die Vorteile des frühen Sprachenlernens wider.

Sandra Schäfer: Die Konsequenzen einer Abschaffung des Fremdsprachenunterrichts wären aus meiner Sicht verheerend. Mit der jahrelangen Erfahrung als Schulleiterin einer Grundschule mit sogar zwei Fremdsprachen kann ich die Forschungsergebnisse aus der Praxis nur bestätigen. Es wäre ein unglaublicher Rückschritt für die Qualität unserer Grundschulen in vielerlei Hinsicht. Gerade Pisa hat aber gezeigt, es bedarf wissenschaftlicher Expertise und keiner Schnellschüsse, die unseren Schülerinnen und Schüler wiederum Chancen nimmt. Endlich Schluss mit dem Raubbau im Grundschulbereich und das heißt eben, Schluss mit dem Gießkannenprinzip, her mit der Expertise!

Professor Piske: Eine Abschaffung des Fremdsprachenunterrichts würde nicht nur den Bildungsweg vieler Kinder negativ beeinflussen, sondern auch die berufliche Existenzgrundlage zahlreicher Lehrkräfte, die in diesem Bereich spezialisiert sind, gefährden. Dabei ist es natürlich bei jedem Fach wichtig, der Frage nachzugehen, wie die Qualität des Unterrichts verbessert werden kann, ohne dass gleich der Unterricht selbst infrage gestellt wird.

Sandra Schäfer: Wie wichtig ist die Qualität des Fremdsprachenunterrichts für den Lernerfolg?

Professor Piske: Die Qualität des Unterrichts ist entscheidend. Ein hochwertiger Fremdsprachenunterricht, der reichhaltigen Sprachinput bietet und die aktive Sprachnutzung fördert, kann die sprachlichen Leistungen der Kinder signifikant verbessern. Dabei spielen auch das Lesen und Schreiben sowie sprachbewusstmachende Aktivitäten eine wichtige Rolle.

Sandra Schäfer: Vielen Dank, Professor Piske, für diese umfassenden Einblicke.

Professor Piske: Es war mir ein Vergnügen, diese wichtigen Punkte zu erläutern. Es ist entscheidend, dass wir Bildungsentscheidungen auf Basis solider Forschungsergebnisse treffen.

Bilder: ©FAU/Giulia Iannicelli


Zitat Carmen Vogt, Schulleiterin Grundschule Pestalozzi-Schule Erlangen (Bilinguale Grundschule Französisch):

Aus der Praxis kann ich sagen:

Die Entwicklung müsste in die entgegengesetzte Richtung gehen, nicht Fremdsprachenunterricht kürzen, sondern bilinguale Schulen - Fremdsprachen - ausbauen. Im Fremdsprachenunterricht wird nicht nur eine neue Sprache erworben, sondern dieser hat auch positive Auswirkungen auf den Deutschunterricht. Besonders Kinder mit nicht deutscher Muttersprache glänzen im Fremdsprachenunterricht. Besser kann sich Integration und Sprachen lernen befruchten.


Fazit: Fremdsprachenunterricht in der Grundschule legt einen wichtigen Grundstein für kulturelles Verständnis.

Die Diskussion um den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule ist komplex. Die vorliegenden Forschungsergebnisse sprechen jedoch eine klare Sprache: Englischunterricht in der Grundschule ist nicht nur effektiv, sondern auch von essenzieller Bedeutung für die sprachliche, kulturelle und interkulturelle Entwicklung der Kinder. Die Frage „Kann Englisch in der Grundschule weg?“ sollte daher mit „Nein.“ beantwortet werden. Der Fokus sollte auf die Verbesserung der Qualität des Fremdsprachenunterrichts gelegt werden, um den Kindern die bestmöglichen Voraussetzungen für ihre Zukunft in einer multilingualen und multikulturellen Welt zu bieten.


Thorsten Piske ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Fremdsprachendidaktik mit Schwerpunkt Didaktik des Englischen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. der Fremdsprachen-Frühbeginn, der bilinguale Unterricht und der Umgang mit Heterogenität im Fremdsprachenunterricht. Zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen Dr. Patricia Uhl und PD Dr. Anja Steinlen hat er die wissenschaftliche Evaluation zum bayerischen Modellversuch „Bilinguale Grundschule Französisch“ und die Anschlussuntersuchung zum Modellversuch „Bilinguale Grundschule Englisch“ durchgeführt.

(Bild: ©FAU/Giulia Iannicelli)